"Für Dich soll's rote Rosen regnen ..."
Hildes Leben - erzählt aus der persönlichen Erinnerung ihrer Familie

4. Hamburger Straße 4

Mit wachsender Kinderzahl wurde immer deutlicher: Eine Wohnung musste her, aber eine bezahlbare! Das war zu der damaligen Zeit leichter gesagt als getan. Onkel Bernhard nahm schließlich - vermutlich seiner Schwester zuliebe - seine Nichte samt Familie in seinem Haus in der Hamburger Straße 4 am Moislinger Baum auf .

Dort, in einer kleinen Zweizimmerwohnung, fand die Familie für einige Jahre Unterschlupf. Die Verhältnisse waren damals andere als heute. Was heute Standard ist, war damals nicht bekannt oder unbezahlbar. Das Klo war über'n Hof, die Küche eine zugige Kochgelegenheit, das Bad eine Zinkwanne, die zum wöchentlichen Baden im Wohnzimmer aufgestellt wurde.

  • Waschmaschine ? Sciene fiction. Geschrubbt wurde per Hand in der besagten Zinkwanne.
  • Spülmaschine ? Noch nicht erfunden. Realität waren Spülfrauenhände, da half auch kein Palmolive.
  • Zentralheizung ? Nur für Millionäre. Geheizt wurde mit Kohle - aber natürlich nur das Wohnzimmer.

Im Schlafzimmer standen das große Doppelbett der Eltern, die Schrankwand, die Frisierkommode, die Wäschetruhe, deren Bezug aus dem gleichen grünen Satinstoff war wie der Bettüberwurf mit Rüschen an der Seite, und ein Kinderbett. In dem schlief meistens die kleine Bärbel. Sie hatte mit eineinviertel Jahren einen schweren Unfall gehabt und wochenlang im Krankenhaus gelegen. Ob es nun an diesem traumatischen Erlebnis lag, an den beengten Wohnverhältnissen, an einer am Geldmangel und Arbeitsüberlastung beinahe verzweifelnden Mutter oder an allem zusammen - Bärbel war Bettnässerin und musste darum auf einer Gummimatte schlafen. Die beiden anderen Mädchen teilten sich Wallys Bett, das sonst über Wochen und Monate leer gestanden hätte. Wieso das ?

Musik war damals in Deutschland eine brotlose Kunst, und so war Wally mit seiner Kapelle "Hummel-Trio" Anfang der 60er Jahre zum Geldverdienen in die Schweiz gezogen. Seine Familie besuchte ihn dort zwar ab und zu, aber im Großen und Ganzen war Hilde mit Haushalt, Kindern und meist leerem Portemonnaie auf sich allein gestellt. Sie hatte ja noch ihre Mutter, die ihr in dieser Zeit sehr half. Aber das machte die beengten Wohnverhältnisse auch nicht besser. Kindergartenbesuch für die Kinder ? War nicht drin. Ins Kino oder in die Kneipe ? Keine Chance!

Wir dürfen nicht vergessen: damals gab es keinen Telefonanschluß, um mal eben in der Schweiz anzurufen, keinen Fernseher oder Videorecorder, keine Computerspiele. Höchstens einen Radioapparat oder später - welcher Luxus - eine Musiktruhe mit Radio und Plattenspieler! Dabei konnte man Handarbeiten oder Lesen - aber ein Gespräch mit einem erwachsenen Menschen, insbesondere dem eigenen Ehemann, ersetzte das nicht.

Die ersten schlimmen Jahre hat Hilde nie vergessen und auch oft ihren Kindern davon erzählt. Doch es gab damals auch schöne Zeiten. Als Wally noch in Deutschland arbeitete, als Musiker in Badeorten an der Ostsee, wie z.B. in der "Seeburg", konnte die Familie oft bei ihm sein. Man lebte die Sommerwochen im Zelt, z.B. in Pelzerhaken. Die Kinder waren braungebrannt und wurden zu wahren Wasserratten .

Aber später, als Wally in der Schweiz arbeitete, konnte die Familie nur in den Schulferien bei ihm sein. Hilde und die Kinder zählten die Wochen und Tage, bis Wally wiederkam oder sie ihn besuchen konnten. Gerne erinnern wir uns an die Ferien in Hergiswil .

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